Hirn
Früher, was sage ich, sehr viel früher war die lage auch nicht übersichtlich, wie viele angesichts des heutigen schnelllebigen wandels von einem zum anderen & zum nächsten glauben möchten, zumindest was den sitz der seele anglangt. Die alten ägypter glaubten, dass die seele im herz zu finden sei, parmiedes, epikur und lucrez zum beispiel sahen die seele in der brust verortet, diogenes, hippokrates oder plutarch hingegen im herz und empedokles lokalisierte die seele nicht in eime bestimmten organ, sondern spürte sie in der blutzirkulation auf. Für demokrit und platon war es eine ausgemachte sache, dass die seele im gehirn hockt & in allen körperteilen wirkt. Rene descartes war der ansicht, dass die seele in der zirbeldrüse zuhause ist. Lang wiegte der kampf um die ortsansässigkeit der seele zwischen herz und hirn hin & her. Doch spätestens seit der ersten herztransplantation ist klar, dass das herz nur noch metaphorisch für den sitz der seele taugt. Diesen ausweg hat die herschmerzpoesie gern genommen, weshalb sie sich erfolgreich ins 21. Jahrhundert gerettet hat. Eine dunkle ahnung wispert mir zu, dass diese art der dichtung wohl nie verschwinden wird. Mit dem auftritt der hirnforschung ist auch das hirn zum sperrgebiet für die seele geworden. Die seele ist endgültig ausquartiert & zur persona non grata geworden. Was an ihrer statt geblieben ist? Die gleiche vorstellung in lilablassblau, nämlich, dass es im körper eine instanz gibt, die verantwortlich dafür ist, dass derselbe lebendig ist, solange der mensch nicht gestorben ist. An die stelle von erzählungen, in denen beschrieben ist, wie es geschieht, dass der menschliche organismus lebendig ist, treten dokumentierte schnitte ins hirn toter & später mittels sogenannter bildgebender verfahren die prozessualen abläufe im menschlichen schädel. Seltsam nur, dass angesichts der schier unermesslichen zahl der prozesse, die im körper ablaufen, ausgerechnet am bild einer zentrale im hirn festgehalten wird. Es dominiert also die hierarchische struktur. Der grund dafür lugt möglicherweise daraus hervor, dass mit der gerätemedizin, die es erlaubt, menschen durch künstliche beatmung am leben zu erhalten, ein kriterim für den tod eines menschen gewonnen werden muss. & da sind die hirnforscher den medizinern beigesprungen. Mittlerweile ist es so, dass unbedingt ein neurologe zur diagnose des hirntods hinzugezogen werden muss, wobei seit 2015 der begriff hirntod im rahmen einer neufassung der entsrechenden richtlinie durch die bezeichnung irreversibler hirnfunktionsausfall erstetzt worden ist. Seine eigentliche brisanz hat der hirntod durch die transplantationsmedizin erhalten. Wenn eben dieser hirntod festgestellt ist, kann der sterbende ausgeräumt werden. Nun richtet sich mein unmut gegen die hirnforschung nicht dagegen, dass sie den wissenschaftlichen background geliefert hat, um den todeszeitpunkt präzisieren zu können. Meine aversion geht eher dahin, dass sie sich als führende wissenschaft zu etablieren sucht, die für sich behauptet, die frage nach der richtigen erkenntnis der welt beantworten zu können. Das argument ist, dass die analyse der prozesse im hirn, dass rüstzeug dafür bietet, erklären zu können, wie die welt beschaffen ist. Die zentrale these insbesondere der konstruktiven neurowissenschaft ist, dass wir die wirklichkeit nur insoweit erkennen können, wie es die funktionsweise des hirns erlaubt. Das hirn liefert uns die daten über die beschaffenheit der dinge, die es selber produziert, das heisst, das gehirn liefert uns abbilder der realität, jedoch nicht einsichten in die welt, wie sie an sich beschaffen ist. Wie die dinge wirklich liegen, entzieht sich unserer kenntnis. Hier an dieser stelle grüsst der empirismus aufs heftigste. Aber was ist dran an dieser behauptung? Wenn es das hirn ist, dass die wirklichkeit hervorbringt, dann folgt daraus, dass auch das hirn sich selbst hervorbringt, da es ja selbst teil der hervorgebrachten wirklichkeit ist. Das bedeutet dann aber auch, dass das hirn sich selbst nicht erkennen kann. Denn, wie schon gesagt, liefert das hirn ja nur abbilder und zeigt nicht, was die dinge an sich sind. Mit anderen worten, selbst den hirnforschern bleibt verborgen, was ihre hirnscans taugen, wenn sie selbst den massstab an ihre forschung legen, dass sie aussagen darüber treffen wollen, was im gehirn wirklich vor sich geht. Was mich darüber hinaus nervt, ist ihre manie, den freien willen des menschen zu suspendieren, in dem sie zum beispiel nachweisen, dass die entscheidung eines menschen, etwas zu tun, acht sekunden davor zu beobachten ist, bevor dieser mensch meint, eine entscheidung gefällt zu haben. So what? Was ist damit bewiesen? Dass sich im menschen etwas vorbereitet, bevor er zum beispiel die hand hebt. Interessanter als die sekundenzählerei ist doch, welche entscheidungen der mensch trifft. Aber sicherlich arbeiten die emsigen wissenschaftler auch daran, durch die stimulation bestimmter hirnareale einfluss die entscheidungen von menschen zu nehmen. Da könnte ich drauf wetten.
Filed under: Einwurf - @ 10. Dezember 2020 00:13
Schlagwörter: Seele