Stille
Was aber ist es, was wir als stille bezeichnen? Der duden gibt nicht viel her, außer der definition, dass stille negativ bestimmt ist, als geräuschlosigkeit, als abwesenheit von jedwedem ton. Stille ein abstraktum, gebildet aus der fülle des anwesenden, das immer geräusche absondert. Die abwesenheit von geräuschen und lärm jedweder art. Die abwesenheit von zeit? Der verweis auf die ewigkeit. Stellen wir uns die ewigkeit still vor? Weil bewegungslosigkeit herrscht. Ziehen wir in unserem kopf bei dem begriff der ewigkeit alles ab, was sich bewegt und lärmt. Oder halten wir es mit nietzsche: die stillsten worte sind es, welche den sturm bringen. Gedanken, die mit taubenfüßen kommen, lenken die welt? Oder ist nicht sein bild schief und er meint eigentlich die ruhe vor dem sturm, die weltbewegende gedanken gebiert. Leben heißt geräusche machen, atmen zumindest. Wenn einer absolut still ist, dann ist er tot. Totenstille. Hat nicht schon jeder bei stille wahrgenommen, dass das blut durch den kopf rauscht. Statt stille ein sehr störendes und furchteinflößendes geräusch, das immer lauter wird, je länger man es hört. Todesfurcht angesichts der stille. Der uneinlösbaren stille? Aber da ist auch die vorstellung, dass stille etwas sehr angenehmes ist. Meinen wir damit aber nicht so sehr die stille denn die ruhe. Ein gleichklang der seele mit unserem atmen, frei von furcht. Muss nicht immer etwas klingen, wenigstens in uns, damit wir die stille genießen können?
Jenseits des wortes, des begriffes, gibt es sie überhaupt, die stille? In wirklichkeit sozusagen, als physikalisches phänomen? Ja und nein. Physiker arbeiten daran, insbesondere in der nanotechnologie, jedes störgeräusch zu eliminieren, auf das absolute stille herrsche. Allerdings ist da noch der forscher. Ihn gelte es ebenso zu beseitigen, damit die laborbedingungen dem ideal sich annähern könnten.
Stille ist also der hintergrund, auf dem erst etwas als solches wahrnehmbar wird. Reinheit des signals als garant für die verständlichkeit von botschaften. Undefinierte geräusche sind der schmutz in der datenübertragung.
Völliger akustischer reizentzug, schallschluckende wände, ist teilgebiet der weißen folter, auch weißes rauschen wird dazu verwandt. Weißes rauschen setzt sich aus allen frequenzen des hörbaren bereichs, also von etwa 16 hz bis 20 khz zusammen. In ihm sind alle frequenzen mit gleicher amplitude, d.h. dem gleichen lautstärkepegel enthalten. Man kann es mit dem weißen licht in der optik vergleichen. Vom menschlichen ohr wird weißes rauschen als höhenlastiges „zischen“ wahrgenommen, da die empfindlichkeit des gehörs für hochfrequente töne größer ist als für niederfrequente.
Zur stille kann man verdonnert werden. Oder sich selbst dazu anhalten: kein geräusch machen, um nicht die aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Das größte schreckgespenst der entwicklungsfanatiker ist die zu sich selbst gekommene stille, die eingefrorene stille: der stillstand.
Das schweigen.
Die scheinbare paradoxie über das schweigen zu reden. So als fiele das tun der menschen immer mit den begriffen zusammen, die sie benutzen. Oder so als gebe es außerhalb der sprache eine sphäre, die wirklicher ist und die nicht mit worten zu fassen ist. Die alte frage also, ob ein denken ohne die sprache möglich ist. Wie denkt es sich ohne worte? Die deckungen, die bezogen werden, um zu sagen, dass das eigene erleben unfassbar ist. Oder ist das eine strategie, die schon zum schweigen führt. Eine weigerung, sich mitzuteilen?
Die politische münze der schweigenden mehrheit, wobei gerade in letzter zeit deutlich wird, dass in ihr nicht wirklich geschwiegen wird, sondern im verborgenen die verschiedenen ressentiments wuchern, schon immer gewuchert haben. Man reklamiert und grenzt sich ab, das alte langweilige spiel.
Man wusste schon immer, dass man nicht hören will, was die schweigende mehrheit zu sagen hat.
Ein beredtes schweigen. Die rede davon verweist darauf, dass das schweigen als haltung problematisch ist, wenn es eine weigerung beinhaltet. Einerlei, wie stumm man sich gibt, man wird immer bedeutet, sobald man in der öffentlichkeit auftaucht. Der mensch an sich, ein zeichen, das er nicht unkenntlich machen kann. Nur allein auf einer insel wird man nicht mehr besprochen.
Dieser aspekt leitet weiter zur verhörsituation, in der man zur rede überredet und auch mit leichter oder schwererer gewalt gezwungen wird. In dieser situation hat man nur eine wahl: zu schweigen. Jede äußerung muss unterbleiben, wie die aus den krimis bekannten worte nahelegen, wonach man zwar das recht zu schweigen hat, aber alles was man sagt, gegen einen verwandt werden kann.
Blöd nur, dass schon längst das geständnis zum modus des sprechens geworden ist. Jede aussage gilt als geständnis, jede lebensäußerung als authentischer akt. Die differenz zur lüge ist eingeebnet und ebenso zum spiel. Die sozialen medien haben die lage immens verschärft. Jeder, der sich nicht nach den geboten der wahrhaftigkeit richtet, gerät unter den verdacht, etwas unbotmäßiges im schilde zu führen. Was auf der anderen, der widerständigen seite dazu zwingt, sein leben als fake-existenz zu führen, um nicht im meer der transparenz zu ersaufen.
Aber wenn präsidenten twittern und fake-news ausgeben, gerät alles ins schwimmen und gerät zum einzigen wahrheitstest der waffengang. Nur mehr der tod verbürgt dann die wahrheit. Die terroristen wissen das schon lange und werfen das eigene leben in die waagschale, ohne nicht auch noch andere in die nichtexistenz zu befördern. Alles in allem ein grausiges kampfspiel.
Womit wir beim nächsten aspekt des schweigen angelangt wären. Dem-zum-schweigen-bringen, das endgültige irreversible verstummen. Wenn wirklich totenstille ist, die man selbst nicht mehr wahrnehmen kann, nur die anderen, damit sie sich ängstigen.
Nach einer definition, dessen urheber ich nicht recherchieren konnte, herrscht faschismus, wenn es bereits verboten ist, zu schweigen. Das schweigen behindert das sortieren nach freund und feind.
Filed under: Einwurf - @ 17. Mai 2021 19:53