Wetter
Vor langer zeit trat einmal eine politische gruppierung auf die bildfläche, deren namen ich an dieser stelle nicht verschweigen will, es war der sozialisitische studentenbund, der die republik damals in atem hielt & der es sich zum programm gemacht hatte, nicht übers wetter zu reden. Das plakat, dass diese auffassung bebilderte, war der ironische kommentar zu einer werbekampagne der Deutschen Bahn, mit der diese die zuverlässigkeit ihres verkehrsmittels im vergleich zum automobil pries (1966). Warum machte man aufmerksam darauf, nicht über das wetter zu reden? Was ist so schlecht daran, darüber zu reden, was einen tag für tag beschäftigt, denn das wetter ist bekanntlich wendisch, es sei denn der hahn kräht auf dem mist. Was die deutsche bahn bewegt hat, ist klar, der automobile verkehr hat ihnen absatzschwierigkeiten beschert. Jeder, der was auf sich hielt & der das ausstellen wollte, fuhr ein auto. Aber was bewegte den SDS in dieser weise zu intervenieren & die werbung der bahn zu kapern. Nun, es war schon in den sechzigern en vogue, den professionellen werbetrommlern etwas entgegenzusetzen. Vorbild waren die Situationisten in Frankreich, die die zweckentfremdung auf die tagesordnung der subversion gesetzt hatten. Den inhaltlichen aspekt der plakataktion lieferte allerdings ein deutscher. Bertolt Brecht, war es, der die rede über das wetter problematisierte. & zwar in dem gedicht „an die nachgeborenen“ mit folgenden worten: „Was sind das für zeiten, wo ein gespräch über bäume fast ein verbrechen ist, weil es ein schweigen über so viele untaten einschliesst!“ Dieser satz Brechts bezieht sich auf die NS-zeit, richtetete sich damals an die dichter, die in solch grausamen zeiten weiter naturlyrik geschrieben haben, statt die politischen geschehnisse zum thema ihrer dichtung zu machen. Der SDS hat Brechts worte aufgegriffen, weil in der nachkriegs immer noch schweigen herrschte über die untaten der nazis & deren gefolgschaft. Hat sich jetzt, nachdem Dieter Nuhr, der von der ARD bestellte kabarettist, ein ums andere mal diagnostiziert, dass die zustände auf der welt sich dem besseren zuneigen, diese antihaltung dem wetter gegenüber erübrigt? Ich denke, nein! Zum einen, weil die wettervorhersage noch immer arge schwächen zeigt, zum anderen, weil ich die sicht Nuhrs auf die welt nicht teile. Vor allem weil er mir keinen beweis geliefert hat, dass das wetter besser geworden ist.
Filed under: Einwurf - @ 9. Dezember 2020 23:35
Schlagwörter: Erinnerungen