Randnotiz im feuilleton der FAZ:
Der letzte Skandal: Al B. ist tot.
Wie die polizei gestern in Berlin mitteilte, ist die identität des vor drei tagen im Spandauer Forst aufgefundenen toten zweifelsfrei festgestellt worden. Es handelt sich um den sechsunddreißigjährigen dichter und musiker Al. B., der in den letzten jahren weniger durch seine künstlerischen produktionen als durch seinen alkohol- und drogenkonsum und die ihm nachgesagten kontakte ins kriminelle milieu beachtung gefunden hat und der vor sechs monaten nach der tötung seines freundes und bandkollegen untergetaucht ist. Ein ende, das so nicht abzusehen gewesen ist, denn angefangen hat es für ihn verheißungsvoll. Schon in jungen jahren ist er als lyriker anerkannt und gefeiert, insbesondere durch seine erfolge bei poetry-slam-wettbewerben, bei denen er durch eine kraftvolle, impulsive vortragsweise zu beeindrucken weiß. Schnell gilt er als begnadetes ausnahmetalent, als ein wortkünstler, der bis an die grenzen der lautlichen ausreizbarkeit und semantischen auslastbarkeit von sprache geht. Sein markantes aussehen und seine energiegeladene bühnenpräsenz verwandeln schlichte lesungen in spektakuläre performances, in denen er auch nicht davor zurückschreckt, seinen körper ungeachtet von schmerz- und schamgrenzen als inszenatorisches mittel einzusetzen. Seine von der kritik enthusiastisch in aussicht gestellte großdichterkarriere gerät recht jedoch bald ins stocken, da Al B. sowohl seine literarischen auftritte einstellt als auch entgegen anders lautender ankündigungen aus seinem umfeld keine weiteren bücher auf den markt bringt. Gleichzeitig gerät er durch gewalttätige übergriffe und alkoholische exzesse in der party-szene in den fokus der klatschpresse. Wie zur bestätigung des mottos der werbeindustrie, wonach ein negatives image immer noch besser ist als gar keines, feiert al. B. In der folge ein beeindruckendes künstlerisches comeback, diesmal als rapper. Mit seiner band „section.Ceiling“ tourt er erfolgreich durch europa. Auch die zweite tournee füllt bis zuletzt die hallen, obwohl Al B. während einiger konzerte sein publikum aufs übelste beschimpft oder die show vorzeitig zuweilen unter offensichtlichem drogeneinfluss abbricht. Auch gerüchte über sexuelle übergriffe auf weibliche fans anlässlich wüster after-show-partys sind keine dämpfer für seine popularität. Derbe texte, fernab sozialkritischer und politisch expliziter botschaften, und raffinierte musikalische arrangements aus dem formenschatz des hip-hop machen „section.Ceiling“ für ein breites publikum interessant. Über mehrere jahre hinweg – von einigen unterbrechungen abgesehen – bleibt Al B. eine der prägenden gestalten der rap-szene in deutschland. Legendär werden seine exzessiven, drogendurchwobenen solo-auftritte in kleinen szene-clubs, in denen er ohne gage manchmal bis zur völligen verausgabung performt. Künstlerische differenzen und persönliche animositäten führen letztlich zur auflösung von „section.Ceiling“, mit einigen kleineren projekten können er und sein freund Axel F. nicht an dem erfolg der band anknüpfen. Nach einem club-konzert in berlin ersticht Al. B. seinen freund. Nach aussagen von zeugen soll anlass der tat ein streit um eine frau gewesen sein. Al B. entzieht sich einer verhaftung und taucht unter und das, wie wir jetzt wissen, für immer. Unklar bleibt, wie er zu tode gekommen ist. Aufschluss erhofft sich die polizei durch die autopsie. Sie schließt derzeit ein fremdverschulden aus.
Aus dem polizeiprotokoll:
Marta M., die den später als Al. B. identifizierten mann gefunden hat, gibt an, dass er zum zeitpunkt der entdeckung noch gelebt hat. Ich horche noch auf den regen, soll er gesagt haben, was sehr seltsam klingt und leider keinerlei hinweis auf die todesumstände bietet. Merkwürdig auch, dass erst die joggerin auf den mann gestoßen ist, obwohl sich schon viel früher ein trupp forstarbeiter in dem waldstück aufgehalten hat.
Stellungnahme eines musikkritikers:
Jetzt ist es natürlich ein leichtes zu sagen, dass es so kommen musste. Klar, jeder, der sich in der szene einigermaßen auskennt, hat gesehen, dass Al B. schon lange raubbau an seinem künstlerischen vermögen betreibt, dass er aber in der letzten zeit – und damit meine ich lange vor seiner mörderischen tat – auch drauf und dran gewesen ist, seine geistigen und vor allem körperlichen ressourcen aufzubrauchen. Eine künstlerische existenz zu führen, wie er es getan hat, in der er nicht nur in seinen konzerten an die grenze der eigenen belastbarkeit gegangen ist, fordert ihren tribut. Ich weiß auch, dass der musikalische kopf der band sein freund Alex F. gewesen ist, der auch in der spätphase der gemeinsamen arbeit die texte geschrieben hat, und dennoch bin ich der festen überzeugung, dass die künstlerische wirkung von „section.Ceiling“ ohne die inszenatorischen fähigkeiten eines Al B. nicht zustande gekommen wäre, wobei ihm seine körperliche ausstrahlung, insbesondere aufs weibliche geschlecht, natürlich in die karten gespielt hat. Ein konzept des ekstatischen acting-out, wie ich es bezeichnen würde, funktioniert natürlich zum einen nur da, wo es eine ungeheuerliche kraft gibt, ein im körper angelegtes potenzial, das ein energetisches verströmen erst möglich macht, und zum anderen nur, wenn die zelebrierte verausgabung authentisch wirkt. Und um diese authentizität, die zugleich maßstab für die glaubwürdigkeit der künstlerischen darbietung und des künstlers als person ist, zu erzeugen, darf der – ich nenne es einmal so – nicht verausgabte rest nicht allzu groß sein, also das moment der distanz zu dem, was man als sänger und darsteller auf der bühne gerade im begriff ist zu inszenieren, also ich meine das quäntchen selbstreflexion, das sicherlich jede künstlerische produktion begleitet. Und gerade bei dieser art von musik spielt die glaubwürdigkeit eine herausragende rolle, die sich nicht nur auf das szenetypische set an mimik und gesten beziehen, sondern sich auch insgesamt auf eine lebenshaltung und -praktik erstreckt, man könnte auch sagen auf die verkörperung eines milieus, das mit normgerechter lebensführung nichts am hut hat oder es aber als chic empfindet, den abweichler zu geben. Und Al B. hat alles dafür getan, dieses publikumsbedürfnis nach authentizität zu befriedigen. Und wer sein verhalten auf der bühne genau beobachtet hat und aufmerksam zwischen den zeilen seiner öffentlichen verlautbarungen gelesen hat, dem konnte wie mir kaum verborgen bleiben, dass er in seinen exzessiven auftritten – und nicht nur in denen auf der bühne – auch eine tief empfundene ablehnung gegen diese inszenierung von authentizität zum ausdruck gebracht hat. Diese gespaltenheit hat ihn aufgezehrt, denke ich, ein langsamer prozess, indem eine solch dramatische wende nicht abzusehen gewesen ist.
Ein konzertveranstalter:
Ich hatte ja schon viel gehört von dem dichterfürsten und rapper Al B. Und dementsprechend skeptisch bin ich vor den vertragsverhandlungen mit dem manager von „section.Ceiling“ gewesen und auch noch danach. Das hat sich schlagartig geändert, als ich Al und der truppe dann zum ersten mal begegnet bin, die sind total straight drauf – und vor allem richtig freundlich gewesen. Auch Al B., dem ja der ruf anhaftete, ein richtiges arschloch zu sein, hat sich als mackenloser typ gezeigt, dem zuerst daran gelegen ist, die tour professionell durchzuziehen. Dass da auch manchmal koks im spiel gewesen ist, wie bei anderen künstlern auch, betrachte ich bis heute als eine art berufsbedingtes doping, um die strapazen einer solchen tour zu überstehen. Und den alkohol, den sie geordert haben, den haben sie weniger getrunken, als auf der bühne ausgestellt, schließlich hatte sich Al B. vorher den ruf eines „bösen jungen“ erworben, den er nicht geschäftsschädigend aufs spiel setzen wollte. Kann mich nicht erinnern, dass Al B. oder ein anderer, auch nicht sein freund Alex F., der gern mal nach der show einen über den durst getrunken hat, während des konzerts die kontrolle verloren hätte. Bei der zweiten tour hat sich dann etwas verschoben. Al B. hat da öfter einmal ein konzert abgebrochen, weil ihm der alkohol und andere drogen den boden unter den füßen weggezogen haben, wie man so schön sagt. Wenn ich im dann gesagt habe, dass das so nicht geht, weil er damit die tour gefährdet, hat er nur gelacht und gesagt, dass er weiß, was er tut, und dass die leute auf so was stehen, und er hat recht behalten. Und trotzdem hatte ich damals das gefühl, dass Al B. nicht mehr eine kalkulierte show abliefert, in dem er den exzess inszeniert, sondern langsam von dem zustand, in dem der mann den trunk nimmt, ins stadium, da der trunk den mann nimmt, gleitet. Ich glaube auch nicht, dass seine immer öfter praktizierten publikumsbeschimpfungen einem kalkül der geschäftsfördernden skandalisierung entsprungen sind, sondern einer verachtung seines publikums, die sich zunehmend ihren weg gebahnt hat. Am ende der tour gab es dann auch reibereien innerhalb der band wegen irgendwelcher frauengeschichten, ich habe nie durchgeblickt, wer da mit wem verbandelt gewesen ist, hat mich auch nicht interessiert. Habe nur noch in erinnerung, dass Al B. für die meisten tränen gesorgt hat.
Emilie, freundin aus jugendjahren
Natürlich hat er nicht Al B. geheißen, aber mit Lars Ole Heidingsfeld kannst du keinen hinter dem ofen hervorlocken und beim slamen kommst du allemal lockerer rüber, wenn du dir was englisches umhängst, zumal das für ihn auch den vorteil gehabt hat, die ihm verhasste deutsche tiefgründigkeit und schwermut von anfang an abzuweisen. Ich fand Al. B. nicht gerade originell, aber er hat gesagt, dass es auf die darin verborgene doppelte literarische anspielung ankäme, und also habe ich mich damit arrangiert, und auch damit, dass er, sehe ich mal von den ersten lesungen ab, die er in literaturhäusern hatte, sehr schnell dazu übergegangen ist, aus seinen lesungen ein spektakel zu machen. Ich habe schon gesehen, dass es beim slamen weniger auf die literarische qualität ankommt, sondern darauf, dem publikum eine show zu bieten, weshalb ich ihn auch ermutigt habe, für solche auftritten ein paar extravaganzen einzuüben, aber er hat damit sehr schnell übertrieben. Eine grenze war für mich überschritten, als er sich bei einer lesung im rahmen eines wettbewerbs die stirn blutig geschlagen hat. Ein anderes mal hat er sich sogar während des vorlesens auspeitschen lassen. Verstehe bis heute nicht, wie sein freund Axel dabei mitmachen konnte. Für mich war das nur noch klamauk, durch den das künstlerische ins hintertreffen geriet, und ich wollte, dass er damit aufhört. Aber er hat nicht auf mich gehört, hat gesagt, dass ich keine ahnung vom kunstbetrieb habe und dass es in diesem eben nur darauf ankommt, sich in szene zu setzen, je heftiger, desto besser. Der betrieb will spektakel und das liefert er ihm, wenn er den bösen buben gibt. Und da das bisher sehr erfolgreich gewesen ist, wird er so weitermachen, denn er will nicht als lyriker unter ferner liefen versauern. Und wenn ich das nicht akzeptieren kann, dann sollte ich eben abhauen. Es wird ihm nicht schwerfallen, bei anderen frauen die hingabe und unterstützung zu finden, die er benötigt. Und da ich damals gedacht habe, dass ich ihn liebe, habe ich mich gefügt, habe meine einwände für mich behalten, ihm applaus gespendet und nach seinen kräftezehrenden auftritten wieder aufgepäppelt. Lange zeit habe ich ihm auch abgenommen, dass sein von alkoholexzessen begleitetes öffentliches auftreten durch den willen zur inszenierung motiviert gewesen ist. Ich konnte gar nicht anders, nicht nur wegen meiner gefühle für ihn, sondern auch deshalb, weil er, wenn er bei mir war, weder drogen noch alkohol angerührt hat. Weiß gar nicht so recht, wann es angefangen hat, dass er auch bei mir zu hause getrunken hat oder noch mal losgezogen ist, in clubs und zu irgendwelchen partys, wo er mich nicht dabei haben wollte, weil ich dort seiner meinung nach eh nur angenervt bin und ihm das auf den senkel geht. Jedenfalls war er immer häufiger unterwegs und die male häuften sich, in denen er völlig kaputt von irgendwelchen zufallsbekanntschaften bei mir abgeliefert worden ist. Natürlich habe ich gehofft, dass er wieder die kurve kriegt und sich darauf besinnt, sein genie darauf zu verwenden, seiner eigentlichen bestimmung zu folgen und zu dichten. Aber das gegenteil war der fall, ja es ging sogar so weit, dass ich für ihn texte geschrieben habe, weil sein altes repertoire ausgelutscht war, er selbst aber nichts neues hinbekommen hat. Das durfte niemand mitbekommen, sonst wäre sein ruf als genialer lyriker ruiniert gewesen – und später nach unserer trennung, als ich mich nicht mehr veranlasst gesehen habe, ihn zu schützen, hat er doch glatt behauptet, dass ich nie eine zeile für ihn geschrieben habe, sondern eine hysterische spinnerin bin, die sich das aus den fingern gesogen hat, um sich bei ihm dafür zu rächen, dass er sie verlassen hat. Und damit ist er auch durchgekommen, womit er sich auf seinem weg der rücksichtslosen indienstnahme anderer bestätigt fühlen konnte. Er hat mit seinen nächtlichen eskapaden einfach nicht aufgehört, eins ums andere mal, ohne das gefühl zu haben, sich dabei lächerlich zu machen, darauf beharrt, dass er alles unter kontrolle hat und eine solche lebensführung der notwendige preis für seine berühmtheit ist, und ich habe immer weniger bereitschaft gespürt, diejenige zu sein, die seine kotze aufwischt. Und als er dann noch mit irgendwelchen frauen angerückt ist, die er in meinem beisein besteigen wollte, bin ich gegangen. Er hat es dann so dargestellt, dass er meiner überdrüssig gewesen ist und mich rausgeschmissen hat.
Auszüge interview mit Axel F:
Aus welchen gründen hat sich „section.Ceiling“ aufgelöst? Standen musikalische differenzen innerhalb der band dabei im vodergrund?
Sicherlich gab es seit eh und je intern auseinandersetzungen über die musikalische ausrichtung, aber das ist normal und fördert die entwicklung der band und jedes einzelnen mitglieds, wenn man in der lage ist, die verschiedenen vorstellungen in gemeinsame produktive bahnen zu lenken – und das haben wir nicht mehr geschafft, weshalb wir uns entschieden haben, die band aufzulösen.
Haben nicht auch die vielen solo-auftritte und eskapaden des sängers Al B. schon länger angezeigt, dass eine bruchlinie zwischen ihm und der restlichen band gibt?
Solo-auftritte sind ja nicht per se ausdruck eines bruchs innerhalb einer band, das zeigen die vielen solo-unternehmungen anderer künstler auch, vielmehr geht es dabei doch darum, dass der eine oder andere mal was eigenes probieren will, als ergänzung zur musikalischen zusammenarbeit mit anderen. Und bei Al B. kommt dazu, dass es ja keine projekte im eigentlichen sinne gewesen sind, eher spontane auftritte, die sich aus der situation ergeben haben, zum beispiel in clubs, die er besucht hat und in denen er, wenn ihm danach gewesen ist, aus dem stegreif ein paar rap-songs gesungen hat, völlig frei improvisiert. An manchen abenden sind dabei performances herausgekommen, die ehrlich gesagt alles toppen, was er gemeinsam mit uns auf die bühne gebracht hat. Oder er ist auf öffentliche plätze gegangen, um dort spontan mit den leuten zu performen, bis die ordnunghüter dem ein ende bereitet haben.
Hat dieses verhalten nicht zur verärgerung bei ihnen und den anderen geführt, angesichts der tatsache, dass ihnen da einer ordentlich die show stiehlt?
Warum sollten wir ausgerechnet darüber verärgert sein. Ganz im gegenteil, seine spontan-konzerte bringen ihm noch mehr von der, wie es so schön heißt, street-credibility ein, die auch uns als band zugutekommt. Die leute erkennen, dass da einer ist, der nicht nur beim stagediving keine berührungsängste hat, der nicht abgehoben irgendwo in seinem loft hockt, sondern sich da rumtreibt, wo sich das leben abspielt, einer, der keinen l’art-pour-l’art-scheiß macht, nicht nur von einem ausschweifenden, lustbetonten leben singt, sondern es zu allererst lebt, ungeachtet der konsequenzen, die das für ihn hat.
Wollen sie mir jetzt ernstlich weismachen, dass Al B. damit nicht zuerst den zweck verfolgt die mediale skandalisierungs- und aufmerksamkeitsmaschine zu bedienen, um im geschäft zu bleiben?
Ich bin doch nicht blöd und schon lange im geschäft, um nicht zu wissen, dass es ohne mediale begleitung nicht geht, und natürlich muss man sich immer wieder die frage stellen was man tun kann, um in der öffentlichkeit als künstler wahrgenommen zu werden, oder ob man immer genug tut, um im fokus öffentlichen interesses zu bleiben. Aber das heißt doch nicht, dass alles, was man tut, einzig dadurch motiviert ist, oder anders ausgedrückt, dass man sich total fernsteuern lässt. Und bei Al B., den ich seit jahren gut kenne, weiß ich, dass er gar nicht anders kann, als seinem begehren nachzugehen, ohne rücksicht auf konventionen oder gar marketingstrategien. Er ist, wie er ist und wie er muss.
Wenn es also nicht seine ego-trips gewesen sind, was hat dann die band auseinander gebracht?
Wie ich anfangs schon gesagt habe, ist es uns nicht mehr gelungen, eine gemeinsame produktive ebene zu finden. Ich weiß, dass es gerüchte gibt, dass Al B. dafür verantwortlich ist, aber ich möchte jetzt in aller deutlichkeit sagen, dass dem nicht so ist. Es hat halt nicht mehr zusammengepasst. Wenn sie die anderen fragen, werden sie ihnen alle möglichen geschichten erzählen: dass Al B. unzuverlässig geworden ist, proben geschmissen, musikalische ideen anderer ignoriert hat, handgreiflich geworden ist und ihre frauen belästigt hat. Ich sage ihnen, Al B. ist die band einfach zu klein geworden, sie hat ihm die luft abgeschnürt. Er musste da raus.
Und stimmt es etwa auch nicht, dass er ihnen ihre frau ausgespannt hat?
Was heißt hier ausspannen! Sie hat ihm nicht widerstehen können, wofür er nichts kann und was ich gut verstehe. Aber das tut unserer freundschaft und künstlerischen zusammenarbeit keinen abbruch. Wir werden in kürze gemeinsam auf der bühne stehen.
Sophie:
Axel hat geschwärmt von ihm, hat ihn bewundert, bis zum bitteren ende. Und als ich ihm begegnet bin, habe ich sofort gewusst warum. Er ist ein bedenkenloser, von sich selbst eingenommener mensch, der seinen lüsten folgt, sich dabei von nichts und niemandem irritieren lässt. Das allein macht ihn schon für viele anziehend, und ich muss gestehen, dass auch mich seine sinnliche ausstrahlung gefangen genommen hat. Da er zudem gutaussehend ist, ist es mir ein leichtes gewesen, mir vorzustellen, dass ihm die frauen scharenweise nachgelaufen sind. Aber ich habe mir fest vorgenommen, schon allein Axel zuliebe, mich nicht bei den frauen einzureihen, die er flachgelegt hat. Dabei ist mir zu hilfe gekommen, dass er mir schon bei unserer ersten begegnung zu verstehen gegeben hat, obwohl er wusste, dass ich mit Axel zusammen bin, dass er mit mir schlafen will, und mir zugleich signalisiert, dass er weiß, dass ich nicht abgeneigt bin. So viel überheblichkeit hat das kleine erotische pflänzchen in mir dann doch erst mal plattgemacht. Und obwohl es sich auch nicht mehr richtig erholt hat, habe ich mich auf ihn eingelassen, weil ich für einen moment, von dem ich nicht mehr weiß, wann es gewesen ist, in seinen augen eine verlorenheit wahrgenommen habe, aus der ein flehen emporgestiegen ist, das sich an mich gerichtet hat. Oder um es anders zu sagen, weil es vielleicht arg verquast klingt, ich habe geglaubt zu sehen, dass der wüste asoziale Al B. einsam ist und geliebt werden will. Ich habe mich nicht einmal gefragt, ob er mich liebt, so sehr hat es mich gerührt, ihn schwach zu sehen. Und also habe ich ihm gegeben, wovon ich angenommen habe, dass er es braucht. Ich weiß bis heute nicht, ob es ein trick der natur war oder ob es zu seinen künsten der verführung gehört hat, mich diese wahrnehmung machen zu lassen. Kein zweifel für mich besteht allerdings seit dem, dass Al B. ein richtiges arschloch ist. Als ich ihm mitgeteilt habe, dass ich schwanger bin, hat er mich einfach vor die tür gesetzt und jeden kontakt mit mir abgebrochen. Ich habe dann abgetrieben, weil die vorstellung nicht ausgehalten habe, dass mich mein kind jeden tag an ihn erinnern würde. Bin ich froh, dass mir das mit ihm nicht vor fünfzig jahren passiert ist. Denn dann wäre ich bestimmt vor lauter ausweglosigkeit ins wasser gegangen.
Auszüge aus einem interview mit Al B.:
Was hat sie zu ihren lyrischen arbeiten inspiriert?
Ein ganz dumme frage, da könnten sie mich auch gleich danach fragen, was ich zu mittag gegessen habe. Aber um ihnen die mühe zu ersparen, sage ich es ihnen. Ich bevorzuge weißwein zum aal. Und ein bisschen blattspinat, eine kartoffel vielleicht. Aber was bedeutet das?
Ja, was bedeutet das?
Dass ich zum beispiel weißwein zum aal bevorzuge, woraus nicht hervorgeht, was ich ihn zu rotwein esse. Das konkrete ist das geheimnisvolle, verstehen sie? Wie schmeckt eine kartoffel, die dafür bestimmt ist, zu rotkohl serviert zu werden, im vergleich zu einer kartoffel, die zu blattspinat serviert wird. Und wie schmecken kartoffeln, von denen nicht bekannt ist, ob sie zu blattspinat oder rotkohl serviert werden? Fragen, die ohne weiteres auf die wortkunst übertragen werden können. Wie verhält es sich zum beispiel mit den wörtern? Wartet jedes wort für sich darauf, in einem gedicht platz zu finden, um die variabilität oder stabilität seiner bedeutung erfassen zu können, oder tanzt es dessen ungeachtet unbekümmert in den himmel der unbestimmtheit.
Das klingt nachgerade so, …
Natürlich soll es klingen, … was nicht klingt, … ich bitte sie, eine klingel am fahrrad, die nicht klingelt, was für eine nachlässigkeit, lebensgefährlich, das wissen sie doch selbst. Der klang ist entscheidend, auch für die tauben, die der vibration den klang abluchsen müssen, denken sie an die sirenen, das glockengeläut einer kirche, das jaulen eines hundes, das jammern einer katze, … fundamentale klänge … genau darum geht es. Die welt ist klang, ist unvorhersagbare bewegung, nicht beherrschbar durch logik und die gesetze der wahrscheinlichkeit.
Sie wollen also damit den vorrang des lautlichen vor der bedeutung hervorheben. Verstehe ich sie da richtig?
Stellen sie sich vor, sie wären in eine welt geboren, in der stille um sie herum herrscht, kein geräusch, nichts, sie hörten kein wort jemals für nichts, hätten sie dann worte, könnten sie auch nur einen gedanken haben, wenigstens den an die stille um sie herum? Ich sage ihnen, dass sie das überhaupt nicht kümmern würde, weil sie ja sehen können, weil sie in einer welt sind, die voll ist an farben und formen, was genügt, was vollkommen genügt, um sich in ihr zu bewegen. Betrachten sie die sprache einfach als geräusch, als zusätzliches mittel, sich in der welt zu bewegen, …
Ich glaube, sie wollen mich auf den arm nehmen!
Wie könnte ich nur! Was ich sagen will, ist, dass die sprache heutzutage einfach maßlos überschätzt wird, was dazu führt, dass sie immer genauer beäugt wird, dass sie problematisiert wird, und ich fürchte, das geht so lange weiter, bis sich künftig keiner mehr traut, etwas zu sagen, weil er davon ausgehen muss, dass er unmöglich verstanden werden kann. Ich mache da nicht mit, ich treibe mit dem, was ich sage, keine wortakrobatik, kein spiel mit doppeltem boden. Lassen sie es mich so sagen, was ich sage, ist wie ein pflock, den ich in die erde ramme, der meine signatur trägt, und woran man immer mich erkennen kann und wofür ich einstehe, mit haut und haaren.
Das hört sich jetzt aber arg nach narzisstischer selbstbespiegelung an!
Und wenn es so wäre, was wäre dann? Bereuten sie dann, mit mir gesprochen zu haben, mir jemals aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Klänge das, was ich sage, dann anders in ihren ohren. Oder müsste ich gar beginnen, anders zu reden? Soll ich so reden, dass man mich daran nicht erkennt, also so reden, wie alle reden, … verwechselbar, austauschbar? Ach was, ich sage ihnen jetzt eins und das ist das letzte, was ich ihnen jemals sagen werde, sie tun mir leid, ihr hang allem ein bapperl anheften zu wollen, macht sie taub und verstellt ihnen den blick auf das, was es gibt, das unzählige unter dem himmel, die eigene existenz und der genuss daran. Schluss jetzt, ich danke ihnen für kein gespräch.
Ein fernsehmoderator:
Sie haben mich vor ihm gewarnt, aber ich habe nur die chance gesehen, etwas zu machen, was sich noch keiner getraut hat. Und also habe ich mich über die bedenken der redaktion hinweggesetzt. Er hat dann tatsächlich zugesagt, in die sendung zu kommen. Am tag der sendung war die anspannung riesengroß, aber zu unser aller überraschung, hat Al B. sich wohl erzogen gezeigt, hat ruhig in der runde gesessen, zugehört und wein getrunken, viel wein getrunken. Dummerweise ist es zu keinem gespräch gekommen. Das einzige, was ich ihm entlocken konnte, war, dass er es toll findet, mal in einer talkrunde zu sitzen, dass es ihm gut geht, der wein köstlich ist und dass er jetzt vollauf zufrieden ist, nur dazusitzen und zuzuhören. Mehr habe ich nicht aus ihm herausbringen können, was von den kritikern, die mir ohnehin nicht wohlgesonnen gewesen sind, einmal mehr als bestätigung meines persönliches unvermögens angesehen worden ist. Unmittelbar nach der sendung war ich hin und hergerissen zwischen der erleichterung, dass es, wie viele befürchtet haben, zu keinem unangenehmen zwischenfall gekommen ist, und dem groll ihm gegenüber, weil er mich hat auflaufen lassen. Dass er sich dem gespräch entzogen hat, war kalkül, da bin ich mir sicher und auch darüber, dass er mich damit treffen wollte, mich ganz persönlich. Die letzten zweifel darüber hat er zerstreut, als er bei der after-show-party meine frau gevögelt hat.
Sein verleger:
Er ist zur rechten zeit aufgetaucht. Die sehnsucht nach so einem wie ihm war offenkundig, kaum ein monat, in dem das feuilleton nicht einen dichter gefordert hat, der sich der politisch korrekten mainstreamliteratur entgegenstemmt, der keine netten geschichten erzählt, wie sie zu dutzenden in den stuben des leipziger literaturinstituts gezimmert werden, mit oder ohne expliziten autobiografischen bezug, einer der den mumm hat, nicht mitzuspielen bei der zurichtung der literatur zur erbaulichen volkspädagogischen aufklärung, eben einer, der in der tradition der sogenannten verfemten dichter steht wie rimbaud oder mallarmé. Al B. hat das zeug dazu gehabt, ausgestattet mit dem nötigen genie und einer schon in jungen jahren erstaunlichen mentalen robustheit hätte er ein einzigartiges literarisches werk schaffen können, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Aber er, was macht er? Er verschwendet sein genie, gibt sich damit zufrieden, einfallslose, die realität affirmierende reime zu dümmlicher musik zu machen, wirft sich der medienindustrie an den hals und torkelt von einem skandal zum anderen. Das ist jämmerlich, er gibt ein jämmerliches bild ab, das bild eines mannes, der kunst mit der hingabe an die sinnenwelt verwechselt. Da hat einer aus allem nichts gemacht.